Game over!

Zum Amoklauf an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten am 20.11.2006

In der Zeit vor dem Internet und der Videoschwemme incl. permanenter Selbstinszenierung hätte sich Bastian B. vielleicht in einem Emsdettener Wäldchen lautlos erhängt, Schlaftabletten genommen oder vor den nächstbesten Zug geworfen.

Im Videozeitalter, in dem Verbrecher nach der Flucht auf Gefängnisdächern sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Hohn der Polizisten minutenlang posieren dürfen, in dem uns mindestens wöchentlich in den Nachrichten vermummte Selbstmordattentäter präsentiert werden, muss der eigene Abgang und das persönliche Scheitern möglichst spektakulär ausfallen. – Game over!

Endloses Computerspielen, in dem Gewaltphantasien in einer virtuellen, kalten Welt ausgelebt werden, fördern offenbar Dispositionen von Geistes- und Seelenkrankheiten. Die Gesellschaft wird dann posthum auch noch dafür verantwortlich gemacht, dass sie die unter Pseudonym in Internetforen abgesetzten Hilferufe und die diversen Videoschnippsel nicht wahr- oder ernst genommen hat. Der Täter Bastian hätte seine Hilfeschreie genauso gut per Flaschenpost in die Ems oder ins große Meer werfen können …

Ein zunehmendes Problem der heutigen Zeit ist mE die Gottesferne, wobei wir wieder bei der sogar vom „religiös unmusikalischen“ Philosophen Jürgen Habermas aufgeworfenen Wertefrage angelangt sind. Vor 30 Jahren wurde Menschen aber vermehrt erklärt, Religion sei falsches Bewusstsein …
Aber immerhin förderte Religion und Gottesnähe zumeist den Respekt vor dem Leben der Mitmenschen und das eigene Schuldbekenntnis.

„Die gesellschaftlichen Umstände sind schuld“, war erst das Credo der ’68er Bewegung, deren Trümmer wir nun immer deutlicher in den Blick bekommen.

Nicht einmal Hilfsschüler, sogar wenn sie im heute so chiffrierten „prekären Proletariat“ aufwuchsen, liefen in den 1960er Jahren einfach Amok.

Von Christen erwarte ich übrigens, dass sie den Menschen auf den Straßen offener, froher, ja befreiter und erlöster ins Gesicht sehen. Das ist im katholisch geprägten Emsdetten durchaus öfter der Fall als im calvinistisch geprägten Moers. Ein Hoffnungszeichen ist auch, dass Bastians Familie in Emsdetten nicht ausgegrenzt werden soll, sondern Hilfe bis ins Rathaus hinein angeboten bekam.

Über Thomas Nolte

64 Jahre alt, DE-47447 Moers Lehrer am Gymnasium Adolfinum in Moers Fächer: Katholische Religion und Sozialwissenschaften Besondere Interessengebiete: Open-Data; Wissensmanagement (Wikimedia)
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