Professionelle Intelligenz oder Bildungsstandards?

In der Tageszeitung „derFreitag“ fand ich am 12.12.2011 einen bemerkenswerten Artikel der Kolumnistin Katrin Rönecke, die 2011 zum Thema Bildungsstandards als universelles Instrument: Grenzen, Konflikte und Herausforderungen am Beispiel VERA in Deutschland“ ihre Bachelorarbeit in Erziehungswissenschaften schrieb.

Der Tenor:

Die Ökonomisierung und der Begriffswandel von Bildung zu Standards und das rein physikalische Verständnis von Leistung führen zu normierten, passgenauen jungen Menschen, aber nicht zu Individuen in Freiheit.

Meine Fragen:

* Passen solche Menschen überhaupt in eine zukunftsfähige Informations- und Wissensgesellschaft, in der der Einzelne seine Talente schulisch entdecken und beruflich entfalten soll/muss?

* Widerspricht der „normierte Mensch“, der eher ins ausgehende Industrie- und Produktionszeitalter passt, nicht der schöpferischen Kraft im Web 2.0 und der politischen Emanzipation?

Die Finnen machen’s vor

 

 

Allgemeine Bildungsstandards sollen das Allheilmittel für die blamierte deutsche Bildungslandschaft sein: Doch nicht nur für unsere Autorin ist Bildung mehr als Ökonomie

Auf der einen Seite streiten sich BildungspolitikerInnen aus Bund und  Ländern und aus den verschiedenen Parteien über nichts, als über das Schulsystem. Auf der anderen Seite sind sich beinahe durch die Bank alle einig, dass eines der wichtigsten Instrumente zu Befreiung der Republik aus dem PISA-Bildungsschlamassel die sogenannten Bildungsstandards sind. So wundert es auch nicht, dass der neue Präsident der Kultusminister-Konferenz (KMK), der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe von der SPD, gegenüber der Presse am Wochenende verlauten ließ, seine obersten Prämissen seien Bildungsstandards und eine bessere Berufsbildung.

[…]

Auch in Finnland gibt es ein National Core Curriculum, das zentrale Lernziele formuliert. Doch die finnische Schule geht mit einem anderen Verständnis von Lernen, Kindern und Unterricht an die Sache heran: die Schüler selbst bestimmen dort ihr Lerntempo, ihren Stoff und ihren Rhythmus – freier Unterricht und offene Klassen setzen auf die freie und selbstbestimmte Bildung. Das ist nur leider völlig undeutsches Denken und der starke Wunsch vieler, diese Herangehensweise könne zu den kleinsten gemeinsamen Nennern der KMK werden – bleibt wohl leider noch auf Jahrzehnte eine schöne Illusion.

http://www.freitag.de/alltag/1149-die-finnen-machens-vor

 

 

Die Bachelorarbeit liegt als PDF vor:
http://blog.katrin-roenicke.net/wp-content/uploads/2011/12/BA_FINAL_Roenicke.pdf

 

 

Dort wird auf Seite 6 die Bildungsdefinition Wilhelm von Humboldts „als Tätigkeit zwischen dem Menschen und seiner Umwelt“ und im Brockhaus von 1960 als Prozess bei Individuen und „eine persönliche Angelegenheit“ beschrieben.

Als Gunter Dueck – der vorgestern übrigens zum Thema „Veränderungsprozesse in der digitalen Wirtschafts- und Arbeitwelt“ als Gutachter in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft auftrat – in einem seiner Vorträge die Bildungsdefinition aus dem Brockhaus 1960 vortrug, widersprach eine Landeskultusministerin und meinte „Bildung sei Erziehung zur Berufsfähigkeit.“ (G. Dueck). Dueck kritisiert die Vereinheitlichung von Wissen zu Standards: „Es gibt überall einen Trend zur Systematisierung unserer Köpfe. Im Wesentlichen wird die linke Hirnhälfte mit Standards befüllt. Bildung im ganzheitlichen Sinn? Ade!“ (Dueck: Supramanie. Vom Pflichtmenschen zum Score-Man, 2003, S. 66)

„Bildungsstandard“ ist demnach ein in sich widersprüchliches Wortungetüm.

Buchtipp: Gunter Dueck: Professionelle Intelligenz. Worauf es morgen ankommt, Eichborn-Verlag 2011 

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Über Thomas Nolte

64 Jahre alt, DE-47447 Moers Lehrer am Gymnasium Adolfinum in Moers Fächer: Katholische Religion und Sozialwissenschaften Besondere Interessengebiete: Open-Data; Wissensmanagement (Wikimedia)
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