Alfred North Whitehead: Die Ziele von Erziehung und Bildung

In diesen Tagen erschien bei suhrkamp die Übersetzung erziehungsphilosophischer Essays von Alfred North Whitehead (1861-1947) unter dem Titel: Die Ziele von Erziehung und Bildung.

Herausgeber und Übersetzer sind Prof. Christoph Kann (Philosoph an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) und sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dennis Sölch. In WDR5 fand jüngst im „Philosophischen Radio“ ein Gespräch mit Kann und ZuhörerInnen über Bildung und Erziehung statt:
–> http://www.wdr5.de/sendungen/philosophische-radio/s/d/16.09.2012-02.05.html (auch zum Nachhören)

„Für [Whitehead] ist Wissen nur dann fruchtbar, wenn es dem Lernenden erlaubt, sich gestaltend in der Welt zu bewegen, und zwar auf freiheitlicher Basis, so dass er, in einer Dynamik zwischen Lernen und kreativer Anwendung des gelernten Weisheit entwickeln kann.“

Das spricht den gegenwärtigen Reformprozessen in Schulen und Universitäten Spott und Hohn, die sich einzig an Kategorien wie Effizenz und Ökonomie ausrichten. Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang auch ein Begriff wie Bildungs“abschluss“. Findet Bildung nicht lebenslang statt?

Bemerkenswert ist auch, wie Gunter Dueck (12 Jahre Mathematikprofessor in Bielefeld, anschließend bis vor kurzem IBM-Manager für „Cultural Change“) in einem kritischen Blogbeitrag zur Industrialisierung von Bildung auf die Bildungsdefinition im „Neuen Brockhaus in fünf Bänden“ von 1960 verweist:

Bildung: Der Vorgang geistiger Formung, auch die innere Gestalt, zu der der Mensch gelangen kann, wenn er seine Anlagen an den geistigen Gehalten seiner Lebenswelt entwickelt. Gebildet ist nicht, wer nur Kenntnisse besitzt und Praktiken beherrscht, sondern der durch sein Wissen und Können teilhat am geistigen Leben; wer das Wertvolle erfasst, wer Sinn hat für Würde des Menschen, wer Takt, Anstand, Ehrfurcht, Verständnis, Aufgeschlossenheit, Geschmack und Urteil erworben hat. Gebildet ist in einem Lebenskreis, wer den wertvollen Inhalt des dort über-lieferten oder zugänglichen Geistes in eine persönlich verfügbare Form verwandelt hat.“

(Gunter Dueck, in: Über Bildung, Schulvollpfropfen und Bachelorziegelsteine (Daily Dueck 168, Juni 2012)
–> http://www.omnisophie.com/day_168.html

In „Ziele von Erziehung und Bildung“ steht bei Whitehead gleich zu Beginn (S. 39) die hochaktuelle Aussage:

„Kultiviertheit ist gedankliche Aktivität, Empfänglichkeit für Schönheit und Gefühle der Menschlichkeit. Informationsfetzen haben nichts damit zu tun. Ein bloß gut informierter Mensch ist der nutzloseste Langeweiler auf Gottes Erde.“

(Alfred North Whitehead, in: Die Ziele von Erziehung und Bildung, Berlin (Suhrkamp-TB) 2012
–> http://www.suhrkamp.de/buecher/die_ziele_von_erziehung_und_bildung-alfred_north_whitehead_29615.html

Ich stieß übrigens durch die Prozesstheologie (u.a. kath. Dogmatiker Roland Faber, Wien) über die Prozessphilosophie auf den Philosophen und Mathematiker Whitehead. Interessant ist, dass die erziehungs- und bildungsphilosophischen Essays Whiteheads offenbar vor den metaphysischen Überlegungen zur Philosophie und Theologie entstanden.

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Über Thomas Nolte

64 Jahre alt, DE-47447 Moers Lehrer am Gymnasium Adolfinum in Moers Fächer: Katholische Religion und Sozialwissenschaften Besondere Interessengebiete: Open-Data; Wissensmanagement (Wikimedia)
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